Modena Week-End:logo Die Kirchen des 17. Jahrhunderts und die heutigen Plätze


    Es ist an dieser Stelle zweckmäßig, kurz die Frage zu erörtern, wo im 17. Jahrhundert in Modena Kirchen errichtet wurden. Wir wollen nicht nur zeigen, wie viele kirchliche Gebäude zur Zeit der Gegenreform in unserer Stadt gebaut wurden, sondern auch einige gemeinsame architektonische Merkmale herausstellen. Im kulturellen Klima der Zeit nach dem Tridentiner Konzil war der Bau einer Kirche nicht nur gleichbedeutend mit der Errichtung eines Kultortes, sondern auch eine willkommene Gelegenheit, um mit Hilfe des architektonischen Prunks Propaganda für die römisch­katholische Kirche gegen die protestantischen Kirchen zu machen. Dieses Prinzip traf auch, wenngleich in eingeschränkter Weise, für Modena zu. So ähneln sich die im 17. Jahrhundert errichteten Kirchen in zweifacher Hinsicht: einerseits der bemerkenswerte Reichtum des Kircheninneren, erkennbar an dem Überfluß an Skulpturen und Malereien. Andererseits ist das Äußere von großer Schlichtheit, welche sich nicht von den ungetünchten Wanddekorationen den umliegenden Fassaden abhebt (obwohl man bei einem Blick nach oben die oft eindrucksvollen Ausmaße erkennt, welche die architektonische Gliederung, die Kuppeln und die äußeren Kuppelschalen noch betonen). Eine mögliche Erklärung hierfür ist, daß die im 17. Jahrhundert errichteten Kirchen inmitten der nicht sakralen Gebäude sozusagen getarnt werden sollten. Diese These ist leicht nachzuvollziehen: Man braucht nur durch die Straßen der Innenstadt oder durch die Straßen in unmittelbarer Nähe des alten Stadtkerns zu gehen. Nördlich des Palazzo Ducale, in dem als "Neuland" bezeichneten Stadtteil, der im 16. Jahrhundert jenseits der Stadtmauer entstand, kann die Kirche Santa Maria degli Angeli, welche eingezwängt zwischen nicht sakralen Gebäuden und dem Kino Cavour liegt, nur allzu leicht übersehen werden, wenn man nicht 'die Augen offenhält'. Kirche San Biagio: Innenansicht Die baulichen Merkmale der Kirche sind erst zu erkennen, wenn der Blick über die getünchte Wand und das schlichte hölzerne Hauptportal bis zu dem Fenster und dem doppelten, über die Dachrinne hinausragenden Tympanon schweift. An der Via Emilia 'schlossen' zwei im 17. Jahrhundert errichtete Kirchen die Stadt in Höhe der Stadtmauer: die bereits erwähnte Kirche Sant'Agostino im Westen und im Osten die Kirche San Biagio, die dem Passanten - in einem kompakten Netz ungetünchter Backsteine - die rechte Breitwand zeigt und unmittelbar an Geschäfte und Wohnungen grenzt. Nur der kleine Vorplatz, welcher den Verlauf der Stadtmauer unterbricht, hebt den Kircheneingang hervor. Das Kircheninnere besteht aus einem einzigen Schiff, dessen erstaunliche Länge die Tiefe des Presbyteriums noch stärker betont. Die barocke Fülle der Dekorationen erstreckt sich nun auch auf die Kapitelle der Säulen, nicht aber auf die Bedachung. Kirche San Carlo: Innenansicht Man erkennt noch gut die im Laufe der Zeit etwas verblichene Pracht der Altäre mit Marmorintarsien und vergoldeten Holzschnitzereien. Südlich der Via Emilia liegt die Kirche San Carlo, bei der nicht der Versuch unternommen wurde, sie stilistisch dem Collegio anzupassen. Auch sie besitzt die üblicherweise ungetünchte Fassade, und ihr Portal ist keineswegs feierlich, wodurch die Kirche noch anonymer wirkt. Nur wenn man nach oben schaut, erkennt man die massive äußere Kuppelschale, welche die Kuppel enthält, und die eleganten Linien der seitlich mit Marmorvasen geschmückten Fassade. Jedenfalls deutet das Kirchenäußere nicht auf die Pracht hin, die wir im Inneren finden. Bemerkenswert sind der Hochaltar mit dem "Triumph des Glaubens" sowie weitere barocke bildhauerische Dekorationen. Nur etwas weiter, am Ende des Corso Canalgrande, liegt die Kirche Santa Maria delle Assi, die einerseits direkt an das elegante Altrosa eines Hotels grenzt - wodurch sie 'abgewertet' wird -, die andererseits auf Grund der kleinen, auf vier Stufen ruhenden Vorhalle als Kirche erkennbar ist. Das heute nicht mehr existierende Fresko der Lünette, auf dem wahrscheinlich eine "Marienkrönung" dargestellt war, und das nunmehr stark nachgedunkelte gelbliche Ocker der Tünche zeigen, wie weit der Verfallsprozeß der Kirche bereits fortgeschritten ist. In unmittelbarer Nähe der vor geraumer Zeit abgerissenen Stadtmauer 'schloß' die Kirche San Bartolomeo (in der Via dei Servi) die Stadt im Süden, welche mit dem großen Gebäude, in dem zunächst ein Kloster, dann lange Zeit ein städtisches altsprachliches Gymnasium untergebracht war, verbunden war. Sie beeindruckt auf Grund der drei breiten Schiffe. Und wie leicht zu erkennen ist, wollte man die Wände vollständig ausgeschmücken mit Altären, Stukkaturen oder Malereien. Kirche San Domenico: Innenansicht Trotz des großzügig bemessenen Innenraums war die Kirche offensichtlich nicht eindrucksvoll genug. Denn die Perspektivenspiele der Decke sollten sie mit Hilfe von Scheinarchitektur 'erhöhen', weshalb man auch zu dem Kunstgriff einer vorgetäuschten Kuppel mit einem raffinierten Fresko auf der niedrigen Kuppelschale griff. Die zwei im 17. Jahrhundert errichteten Kirchen San Domenico und Madonna del Voto unterscheiden sich sehr von den bisher beschriebenen Kirchen. Die Kirche San Domenico liegt nur wenige Meter vom Palazzo Ducale entfernt: Sie kann auf Grund ihrer Größe nicht übersehen werden und zeugt von der wichtigen Rolle in dem streng der Familie Este vorbehaltenen Stadtbereich. Das Kircheninnere mit dem Grundriß des griechischen Kreuzes ist imposant. Doch wirkt der weite und freundlich helle Innenraum, da der Altar in die kreisförmige Mitte verlegt worden ist, viel kleiner und somit andächtiger. Die riesigen Säulenpaare in den Ecken des kreuzförmigen Grundrisses wurden aus Stuckmarmor gefertigt. Dieses bescheidene, in der Potiefebene gewonnene Material wurde auf Anregung der in Carpi beheimateten Meister ab dem 17. Jahrhundert zur Imitation teuren, prächtigen Marmors verwendet. In der Taufkapelle (links vom Eingang) wird die Terracotta-Gruppe "Jesus besucht Martha und Maria" von A. Begarelli aufbewahrt: Die beiden realistisch wirkenden Dienstmädchen weichen etwas von der renaissancehaften Klassizität der übrigen Figuren ab. Außerhalb des streng der Familie Este vorbehaltenen Stadtbereichs liegt im Herzen der Stadt, wo sich die Via Emilia und der Corso Duomo kreuzen, die Kirche Madonna del Voto (Madonna des Gelübdes). Sie wurde aus Dank mit den Spendengeldern der Stadtbewohner errichtet, nachdem die Stadt 1630 von der Pest heimgesucht worden war und die Modeneser deshalb die Jungfrau Maria um Hilfe gebeten sowie ein Gelübde abgelegt hatten. Das Gebäude wurde von dem unter dem Namen Galaverna bekannten Architekten errichtet und ist insbesondere auf Grund der eleganten, auf dem Tambour ruhenden Kuppel schlanker als andere Kirchen aus derselben Epoche. Betrachtet man sie von der Piazza Matteotti, genauer gesagt von ihrer linken Seitenwand aus, wird man Zeuge einer merkwürdigen Perspektivenwirkung: Die Ghirlandina und die Kuppel der Kirche Madonna del Voto ragen nebeneinander empor und scheinen - hierbei handelt es sich um eine optische Täuschung - gleich hoch zu sein. Nun hat man den Eindruck, sämtliche Dekorationen aus weißem Marmor, die wir an den Fensterrändern finden bzw. die sich auch mit einem Girlandenmotiv um die Kuppel schlängeln, seien farblich identisch mit dem Weiß der Ghirlandina. Kirche San Giovanni: Grablegung von Mazzoni Und die Metallbalustrade am unteren Teil des Türmchens scheint sich an der Marmorgirlande der Stadtturmspitze zu inspirieren. Auf der anderen Seite wird der Platz von der niedrigen Masse der ungetünchten Backsteine der Kirche San Giovanni Battista begrenzt. Auch am Äußeren erkennt man den symmetrisch um den Mittelpunkt konzentrierten Grundriß. Der Glockenturm hat seinen vertikalen, weltlichen Gegenpol in dem zweigeschossigen Altan auf den Gebäuden an der Via Emilia sowie im abwechslungsreichen Spiel der Schornsteine. Die Kirche ist schlicht, weist jedoch angenehme Proportionen auf. Doch im Inneren hält sie den gerechten Lohn für denjenigen bereit, der neugierig eintritt: die Grablegung des großen, im 15. Jahrhundert lebenden Modeneser Bildhauers G. Mazzoni. Vor einigen Jahren wurde mit der Restaurierung der kolorierten Tongruppe begonnen. Aber wer den Stil dieses lokalen Künstlers etwas näher kennenlernen möchte, sollte sich in der Domkrypta die Figuren der sogenannten 'Breimadonna', welche den typischen Realismus der Potiefebene aufweisen, anschauen.

    Die Piazza Matteotti wird von den beiden monumentalen Kirchen Madonna del Voto und San Giovanni einschlossen und ist ein Produkt der Gegenwart. Diese 'Leere' entstand in den '30er Jahren im Rahmen einer Sanierungsaktion. Der Platz dient auch als Parkanlage, da in dem mit Porphyrsteinen bepflasterten, von rosafarbenem Marmor geometrisch gegliederten Teil viele Bäume mit weit ausragenden Gipfeln zu finden sind: Besonders zahlreich sind Zürgelbäume und Platanen, während die wenigen Nadelbäume nur am Rand wachsen. Im übrigen wird die Tatsache, daß die Blätter den hinteren Teil der in den '50er Jahren gebauten Häuser mit einem völlig weißen, an den Piacentiner Stil erinnernden Bogengang fast das gesamte Jahr über bedecken, wohl eher als angenehm empfunden. In dem freien, an die Via Emilia grenzenden Bereich finden wir in symmetrischer Anordnung zwei Ende der '80er Jahre im Liberty-Stil errichtete Kioske, in denen ein Zeitungs- und ein Blumengeschäft untergebracht sind.

    Die ebenfalls an der Via Emilia gelegene, nur wenige Schritte von der Piazza Matteotti entfernte Piazza Mazzini entstand im Rahmen einer Sanierungsaktion im jüdischen Ghetto, von dem nur noch die im Hintergrund zu sehende Synagoge übrig geblieben ist. Auch hier finden wir ein an den Liberty-Stil erinnerndes Zeitungskiosk. Und ein Blick auf die Umgebung zeigt, daß hier der vorherrschende Stil der Gebäude des Platzes in angemessener Form wieder aufgegriffen worden ist. Dieser ist an den Linien eines von höhnisch grinsenden Satyren getragenen Balkons sowie auf der gegenüberliegenden Seite an den polychromen Streifen mit kolorierten Reliefs erkennbar. Wenigstens eine Hälfte dieses Platzes ist parkartig gestaltet. Im Gegensatz zur Piazza Matteotti wirkt dieser Platz, wo neben einer kleinen Palme vor allem Steineichen und Magnolien zu finden sind, exotischer und mediterraner.

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