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Seitlich des Doms ragt die wuchtige
Ghirlandina auf. Dieser fast 90 Meter hohe Glockenturm vereinigt
die Stile zweier verschiedener Epochen in sich. So ist der Teil
mit quadratischem Querschnitt so alt wie der Dom und ein typisches
Beispiel für die in der Romanik geltenden architektonischen
Regeln. Der Teil mit achteckigem Querschnitt sowie die pyramidenförmige
Turmspitze - der Bau dieses Abschnitts begann im Jahre 1261, geht
auf einen Entwurf des Architekten Arrigo da Campione zurück
und wurde 1319 vollendet - wurden zu einem späterem Zeitpunkt
errichtet und weisen auf einen eher gotischen Stil hin. Der Name
Ghirlandina (dt. kleine Girlande) läßt sich vielleicht
von der doppelten Drehung des Geländers herleiten, das den
Glockenturm sozusagen wie eine Girlande krönt. Die Modeneser
sehen in der Ghirlandina das stolze Wahrzeichen ihrer Stadt. Dafür
gibt es einen guten Grund, an den sich nur noch wenige erinnern.
So hatte die Ghirlandina als <der Glockenturm des Doms>
nicht nur eine religiöse Funktion. Sie diente den Bewohnern
auch als städtischer Verteidigungsturm. Außerdem wurden
in einem ihrer Räume sorgfältig Karten und kommunale
Vorrechte aufbewahrt.
Der erste Raum der Ghirlandina enthält
ein eindeutiges Zeichen des ehemaligen Stolzes der Bewohner auf
ihre Stadt: eine Trophäe in Form eines hölzernen Eimers,
den die Modeneser 1325 im Krieg gegen die Bologneser erbeuteten.
Und eben diese Begebenheit nahm Alessandro Tassoni zum Anlaß,
als er 1622 ein komisches Heldengedicht mit dem Titel Der erbeutete
Eimer schrieb. Ihm zu Ehren wurde das Denkmal an der - der Via
Emilia zugewandten - Nordseite des Glockenturms errichtet.
Gelegentlich berichten die Massenmedien wieder von dem Eimer, wenn junge Studenten
der Bologneser Universität ihn eher aus Spaß als aus
Kriegslust erneut _zurückerobert_ haben. Jedenfalls ist der
Eimer, der hier zu sehen ist, nur eine Kopie, denn das Original
wird im Stadthaus aufbewahrt. In der Via Lanfranco, in unmittelbarer
Nähe der Ghirlandina, hat das Museo Lapidario del Duomo (dt.
Domlapidarium) seinen Sitz. Hier kann man die Originale der Stirnziegel
des "Metopenmeisters" bewundern: Figuren, die aus vielerlei
Gründen beunruhigend sind, voller symbolischer Anspielungen
auf die außereuropäischen Völker. Auf der Piazza
della Torre liegt zwischen dem Tassoni gewidmeten Denkmal und
der Ghirlandina ein kleiner Platz, der, wie einer im Modeneser
Dialekt verfaßten Inschrift einer Gedenktafel zu entnehmen
ist, in "Al tvajol ed Furmajin" (dt. Für die Serviette
und Formaggini) umgetauft wurde. So kam die Stadt dem Wunsch des
Verlegers Angelo Fortunato Formaggini nach, den er vor seinem
Entschluß, aus Protest gegen die unsinnigen Rassengesetze
vom Glockenturm zu springen, geäußert hatte.
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